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Montag, 27. April 2009

Nuklearer Musikkonsum

„Musik war schon immer eine Form der Lärmkontrolle, das heißt, eine Kontrolle des akustischen Anteils und des Äquivalents von Gewalt. Was wird bei jeder nur erdenklichen Opferszene im Hintergrund gespiet? Musik. Im Vordergrund, musikalisch überdeckt, hört man das lautstarke Knarren der Foltermaschinen und das Schreien der Opfer. Aber kraft dessen, was sie gegen oder mit dem Lärm erreicht, überdeckt und kontrolliert die Musik, die immer Hintergrundmusik ist, die Szene der Opferung und trägt dazu bei, die automatische Eskalation uneingeschränkter Gewalt zurückzudrängen.
Musik geht also mit Szenen der Opferung einher und repräsentiert sie, und in immer stärkeren Ausmaß sind wir über Kopfhörer und Walkmans [etc.], im Zeitalter der musikalischen Repetition, an den Boom dieser Opferszene angeschlossen – als vereinzelte (vielleicht sogar autistische) Teilnehmer in einem Netzwerk aus Identifikationsbeziehungen, die immer stärker individualisiert und käuflich sind. In der Ära der Repräsentation füllte die Musik die Zeit als gemeinschaftliches Ereignis; es war ein Ereignis, bei dem Zuhören und Aufführung zusammen als Gruppe stattfand. Heute ist jede Performance das Playback eines bereits aufgenommenen Hits. Und während jeder Musikkonsument isoliert ist, ist jeder aber auch eine Einer-Gruppe. Die Überisolation jedes Zuhörers ist die Franchise-Erweiterung der Gruppe. Und wir, die wir solo unter unserem Kopfhörer in die akustischen Szenen der Gewalt und der Opferung hineingeworfen sind, haben nur noch etwas Zeit übrig – Zeit, um diese Aufnahmen zu kaufen [oder auf anderen Wegen zu besorgen]. Unsere Kaufkraft häuft stapelweise Aufnahmen an, wobei wir nie die Zeit haben werden, sie alle anzuhören. Es ist eine Form der Vorratsbildung. Wir bunkern diese Musikaufnahmen; wir bunkern, anders gesagt, unsere gesellschaftlichen Beziehungen – die gesellschaftlichen Beziehungen, zu denen ja der Opfer- oder Identifikationszusammenhang von Gewalt und Lärmkontrolle gehört, der das Anhören von Musik ermöglicht oder miteinschließt. Das ultimative Modell für diese Vorratsbildung war das nukleare Waffenlager des Kalten Krieges ...”

Laurence A. Rickels