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In der Stadt der Fliesen

Wie schon in Paris begann alles bei den Toten – diesmal dort, wo es explizit Vergnügen bereitet. Man brauchte nicht allzu lange durch die Reihen der kleinen Häuser der Verstorbenen schlendern bis es sehr lebendig wurde. Eine ganze Meute ausgemergelter und zerfetzter Katzen hatte zwischen den Gräbern ihren Stammplatz mit bereitgestelltem Futterspendenvorrat. In Sekundenschnelle war der Inhalt einer Dose weggeputzt. Jetzt weiß ich wie die Redewendung richtig lautet: „wie Katzenfutter auf dem heißen Stein”. Und die Hitze war überall, denn die Zypressen boten wenig Schatten.

Es folgte eine erste unumgängliche Fahrt mit der rumpelnden und auf schmalen Strecken da und dort auch mal an parkenden Autos aneckenden „28” mit diversen Zwischenstopps wie dem Bicatrinken mit Pessoa bei der Brasilianerin oder dem Wechsel zwischen oben und unten mittels des Elevadors de Santa Justa, bis hin direkt zur Alfama, über der das Castelo de São Jorge thront. Von dieser Burg hat man einen überwältigenden Ausblick über Lissabon, von dem man sich nicht so leicht lösen kann, auch wenn es mehrere solcher einzigartig wirkenden Miradouros gibt.

Die Höhe verlassend folgte erstmals ein Eintauchen in das Labyrinth der engen Gassen, dem noch einige folgen sollten. Und nicht nur der dortige recht große Flohmarkt befriedigte die Inhaberin des Gruselkabinetts – sehr viel mehr erfreute ich mich der Kreaturen von Ricardo Casimiro. Die vielfach verarbeiteten antiken Porzellan-Puppenteile bezieht er übrigens aus Deutschland. Und genau dahin wird sich auch demnächst ein Wesen begeben.

Es wurde indes nicht nur Alfama erkundet. Der Bairro Alto wurde natürlich erst abends interessant, wobei in den Nächten eigentlich überall viel los ist. Auch die Hafengegend ist sehr spannend, vor allem, wenn man mit Einheimischen unterwegs ist. Ebenso ist Santos nachts alles andere als tot. In dem Viertel hatten wir unsere private Unterkunft – diesmal gelangten wir sehr unkompliziert in die Wohnung: der Schlüssel war im Briefkasten. In Belém (wenn man gut zu Fuß ist, lohnt sich eine Wanderung am Tejo entlang)versammeln sich nicht nur sehr viele Sehenswürdigkeiten (Stichwort Manuelinik – man kann gar nicht so viel gucken wie viel es da an interessanten Details zu entdecken gibt) oder sehenswerte Kunst (im CCB), sondern auch tropische Gefilde und vor allem die Heimat der originalen Pastéis de Belém sind dort einen Besuch wert. Die schmecken dort ofenfrisch einfach am besten.

Womit wir beim Thema Essen wären. Um Fisch und Meeresgetier kommt man hier selbstredend nicht herum. Insbesondere nicht um Bacalhau – es gibt unendlich viele Variationen für die Zubereitung von Stockfisch. Was zuvor ein hartes Brett Fisch ist landet dann z. B. als Pastéis de Bacalhau (super leckere Stockfisch-Küchlein) oder Bacalhau à Bras (mit Ei, Kartoffeln, Zwiebeln und Olive) auf dem Teller. So ein Fischbrett musste selbstverständlich mit ins Gruselkabinett wandern. Für Fleischesser mag eine flambierte Chouriço (weniger Paprika als in der spanischen Chorizo) interessanter sein oder auch solche Köstlichkeiten wie Carne de Porco à Alentejana (Schweinefleisch mit Teppichmuscheln). Gemüsegerichte stehen zwar meist nicht so im Vordergrund, aber hierbei seien mal die Peixinhos da Horta erwähnt – die Fischlein aus dem Garten sind keine Sardinen im Teigmantel, sondern Bohnen und mehr als empfehlenswert.

Für schlechtes Wetter hatten wir das Expo-Gelände vorgemerkt. Beim Vormerken blieb es. Stattdessen erfolgte ein Ausflug an den Atlantik zur Costa da Caparica, was bei den hochsommerlichen Temperaturen eine sehr gute Idee war. Keine sehr gute Idee war, dass man Sonnenschirme erst im Sommer ausleihen kann (für uns war das definetiv schon Sommer!), aber die Prinzess do mar rettete uns – ein Boot am Strand, das für uns ein schattiges Plätzchen bereithielt. So heiß es an Land war, so eiskalt war es allerdings im Wasser. Aber was soll man machen, wenn die Wellen des Ozeans rufen?

Ein weiterer vorab geplanter Ausflug führte uns nach Évora – eine Stadt mit viel historischem Background und ebenso vielen noch sichtbaren Zeugen vergangener Zeiten. In der Umgebung gibt es mehrere Hinterlassenschaften der Megalithkultur (Steinkreise, Menhire, Dolmen), aufgrund der Hitze sind wir aber nur im Ort geblieben. Die Zeit der Römer wird in diesem lebendigen Freilichtmuseum mit dem Diana-Tempel am sichtbarsten. Kopfsteingepflasterte, mittelalterliche Gassen prägen den kompletten Stadtkern. Wenn man so durch die pittoreske Innenstadt mit ihren meist weiß herausgeputzten Häuschen wandelt, kann man leicht vergessen, wie schwerwiegend die Krise in Portugal ist, obwohl dies auch gerade Évora sehr stark betrifft. In Lissabon sind verfallene Häuser, oft auch richtige Ruinen, allgegenwärtig, die vielmals dennoch bewohnt sind. In dieser Museumsstadt scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Vergänglichkeit kann man an diesem Ort jedoch in aller Deutlichkeit erfahren. „Unsere Knochen hier warten auf die euren” steht am Eingang zur Capela dos Ossos (Knochenkapelle). Wenn man das Sedletz-Ossarium in Kutná Hora besucht hat, wirkt die hiesige Ansammlung von 5000 Gebeinen recht übersichtlich und künstlerisch zurückhaltend, ist aber dennoch sehr sehenswert.

Das Licht war in Lissabon übrigens nicht sooo einzigartig, auffällig waren eher die vielen herumstreunenden Katzen. Sonne gab es schon an den ersten beiden Tagen mehr als wir den gesamten Winter über hatten. Und es roch immer irgendwie nach Fisch oder Weihrauch oder beidem. Die Steilheit der Straßen vergisst man auch nicht so schnell – vor allem als Flachlandbewohner – und erst recht nicht, wenn man sich mit glatten Schuhsohlen auf glatt gelaufenen Straßen wie z. B. die Calçada do Combro abwärts begeben will. Man braucht sich eigentlich nur hinstellen – runter rutschen geht von allein. Erwähnenswert sei auch noch die Freundlichkeit der Lisboetas. Den Stolz auf ihre Stadt teilen sie mit den Hamburgern – es ist jeweils die schönste Stadt der Welt. Mir fällt es dagegen schwer, mich so eindeutig festzulegen. Es gibt so viele schöne Städte. Lissabon ist eindeutig eine davon.



Mehr Bilder (viel mehr Bilder!)
C. Araxe - 2013.05.12, 11:41

Cemitério dos Prazeres








Elevador de Santa Justa (unten)



Aussicht vom Elevator de Santa Justa (oben)




Castelo de São Jorge – hinter dicken Mauern sind weitere Mauern




Alfama

Sehr breite Straße








Bairro Alto/Oberstadt (könnte genauso gut irgendwo anders sein)



Nachts sind die Wege dorthin nicht weniger steil




Santos




Belém










Costa da Caparica








Évora










Details von da und dort in Lissabon








momoseven - 2013.05.12, 11:54

Muito Obrigado für´s Mitreisenlassen. Da würde ich auch gerne mal hin. Die Fotos sind Klasse!

C. Araxe - 2013.05.12, 12:09

Die Auswahl der Fotos fiel sehr, sehr schwer ... kommt dabei heraus, wenn man so viele Fotos macht.

Heute gibt’s bei uns auch gleich eine kleine Reise zurück und zwar kulinarisch mit Pastéis de Bacalhau und Batatas ao murro plus Grünzeugs. Mal sehen, wie das klappt.
Monsterkeks - 2013.05.17, 07:42

In Lissabon gibt es sogar Briefmarken mit Bluwürsten drauf...

Vielen Dank! :-) (auch wenn es mit der Sonne nicht so ganz geklappt hat)

C. Araxe - 2013.05.17, 11:38

Ja, ich habe extra nachgefragt, ob es Briefmarken mit einem blutigen Motiv gibt. *g*
C. Araxe - 2013.05.22, 20:05

Hach ... ein Blog sollte auch immer ein Ausdruck der Freude sein. Geteilte Freude ist dann ja nicht nur doppelte Freude (ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass ich mehr als einen Leser habe). Der Grund zur Freude ist portugiesischer Abstammung. Das vermute ich zumindest sehr stark, wenn bei mir im Briefkasten eine Paketkarte gelandet ist. Ich hoffe nur, dass die Kreatur von Ricardo Casimiro die Reise gut überstanden hat.